Ferien mit neurodivergenten Kindern – (K)eine Pause vom Alltag?
Nach zwei Wochen Ferien sitze ich hier und versuche mit meiner dezent spürbaren Erschöpfung die Gedanken zum Thema Ferienzeit zu sortieren.
Für viele Familien bedeutet Ferienzeit: endlich mal ausschlafen, neue Orte entdecken, spontane Ausflüge, Erholung vom Alltag. Für andere – insbesondere Familien mit neurodivergenten Kindern – ist und bleibt das eher ein schöner Gedanke. Einer, der schnell verblasst, wenn der Alltag mit all seinen kleinen, aber wichtigen Routinen wegbricht. Denn so anstrengend Kindergarten oder Schule auch sein mögen – sie geben Struktur, Orientierung und Halt. Und genau das fehlt plötzlich. Die Tage haben mehr Stunden, mehr Unvorhergesehenes, mehr Reibungspunkte. Die Geschwisterdynamik entfaltet sich in voller Kraft. Ja, ich weiss – die gibt es in allen Familien. Im Durchschnitt streiten sich Geschwister alle sechs Minuten, egal ob neurodivergent oder nicht. Trotzdem können diese Dynamiken gerade bei neurodivergenten Kindern – wie so vieles – besonders intensiv sein.
Und dann steht ihr da mit dem Wunsch nach einer erholsamen Zeit – und der Realität, dass selbst gut vorbereitete Tage oft nicht aufgehen. Zu wenig Struktur bringt Unsicherheit, zu viel Struktur überfordert. Reize, Erwartungen, Langeweile – alles vermischt sich. Spontane Ideen, die anderen Kindern guttun könnten, führen hier manchmal direkt ins Chaos. Kommt dann noch eine Reise dazu, wird es richtig komplex: fremde Orte, ungewohnte Geräusche, andere Schlafumgebung, kein Zugang zu gewohnten Lebensmitteln, weniger Rückzugsmöglichkeiten, nicht alle vertrauten Dinge dabei. Vieles, was Sicherheit gibt, fällt einfach weg. Egal wie gut ihr vorbereitet seid, egal ob ihr mit einem Koffer oder dem halben Haushalt unterwegs seid – die Kinder brauchen oft all ihre inneren Ressourcen nur schon, um die Veränderungen auszuhalten. Für Kooperation, Flexibilität, Rücksichtnahme bleibt dann fast nichts mehr übrig.
Was das für euch als Eltern bedeutet? Es braucht Geduld, Nerven, Flexibilität, Verständnis – und oft einfach Durchhaltevermögen, das irgendwo zwischen „Ich will nur kurz wegrennen“ und „Okay, weiter geht’s“ pendelt. Tipps gibt es hier keine. Denn jede Familie ist anders. Was hilft, hängt nicht nur von euren Kindern ab, sondern auch von euch selbst, eurem Umfeld, euren Möglichkeiten. Es wäre vermessen, hier einfache Antworten zu geben. Vielleicht geht es eher darum, anzuerkennen, dass all die begleitenden Gefühle – Frust, Überforderung, Neid, Erschöpfung, manchmal auch Enttäuschung – ihren Platz haben dürfen. Bei euch und bei euren Kindern.
Auch wenn ihr insgesamt gut mit der Situation zurecht kommt, dürfen diese emotionalen Tiefs sein. Akzeptanz ist nichts, was man irgendwann erreicht und dann einfach besitzt. Wenn ihr also bei der Frage „Na, hattet ihr schöne Ferien?“ innerlich denkt: Irgendwie klingt die Frage gerade fast zynisch – dann wisst: Ihr seid nicht allein. Und ja, es ist in Ordnung, wenn die ehrliche Antwort wäre: „Ich bin erschöpfter als vorher.“ Auch das darf sein.
Ferien mit neurodivergenten Kindern sind keine Pause vom Alltag. Sie sind Alltag – nur anders. Mit mehr Unbekannten, mehr Variablen, manchmal auch mit besonderen Momenten. Und vielleicht reicht es manchmal einfach, sich selbst nicht zu verurteilen. Sich Anerkennung zu schenken für all das, was ihr möglich gemacht habt. Auch wenn es sich nicht wie Erholung anfühlt. Auch wenn andere scheinbar mühelos durch die Ferien tanzen. Auch wenn ihr jetzt einfach nur froh seid, dass der Alltag wieder beginnt – und euch dabei vornehmt, in den nächsten Ferien bestimmt alles ganz anders anzugehen.
Jetzt bin ich gespannt: Wie habt ihr eure Ferien erlebt? Was hat euch geholfen? Was war besonders herausfordernd? Schreibt es gern in die Kommentare – vielleicht entsteht ja ein ehrlicher, solidarischer Austausch.