Maskieren - Der stille Versuch angepasst zu sein
Maskieren – ein Begriff, dem viele Eltern neurodivergenter Kinder früher oder später begegnen. Ein Wort, das für viele emotional aufgeladen ist. Warum? Weil es für etwas steht, das viele Eltern tief im Innersten beschäftigt: die Frage, warum ihr Kind in gewissen Situationen scheinbar „funktioniert“ – und zu Hause alles entlädt.
Was bedeutet „Maskieren“?
Beim Maskieren (auch camouflaging oder compensatory behavior) handelt es sich um das bewusste oder unbewusste Verstellen, um in sozialen Situationen möglichst „unauffällig“ zu wirken. Viele neurodivergente Kinder – insbesondere mit Autismus oder AD(H)S – lernen früh, welche sozialen Verhaltensweisen von ihnen erwartet werden. Sie beobachten genau, ahmen nach, unterdrücken Impulse, passen sich an. Sie setzen sozusagen eine Maske auf – und hinter dieser Maske verbirgt sich oft ein immenser Kraftaufwand.
Warum ist das problematisch?
Dieses ständige Anpassen ist extrem anstrengend. Es erfordert eine Dauerbeobachtung der Umwelt, eine ständige Selbstregulation – und führt häufig zu einem vollständigen Energieverlust. Die Folgen können sein:
Meltdowns oder Shutdowns nach der Schule oder nach sozialen Anlässen – oft in der einzigen Umgebung, in der sie sich sicher fühlen: zu Hause.
Emotionale Erschöpfung, Reizbarkeit, Rückzug oder starke Gefühlsexplosionen.
Verzerrte Wahrnehmung im Umfeld: Weil die Kinder in der Öffentlichkeit "funktionieren", glauben viele, das Verhalten zu Hause liege an der Erziehung – was Schuldgefühle und gesellschaftlichen Druck für die Eltern verstärken kann.
Was hilft?
Es geht nicht darum, Maskieren völlig zu verhindern – das wäre weder realistisch noch sinnvoll. Viele neurodivergente Menschen entwickeln diese Strategie, um in einer oft nicht auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten Welt zu bestehen. Ziel ist es vielmehr, den Umgang damit zu erleichtern, die Belastung zu reduzieren und bewusst Räume zu schaffen, in denen keine Maske nötig ist.
Diese Ansätze können helfen:
Tipps zum Umgang mit Maskieren
Emotionale Sicherheit stärken
Schaffe Räume, in denen dein Kind nicht maskieren muss. Das beginnt oft zu Hause, im engsten Kreis. Validierung ist der Schlüssel: „Ich sehe, dass es dir schwerfällt. Das ist okay.“Gefühlsstürme gemeinsam durchstehen
Nicht in der Krise erziehen. Während eines Meltdowns geht es nur darum, Sicherheit zu geben, zu begleiten, nicht zu belehren.Strategien in ruhigen Momenten üben
Gefühle benennen, Körpersignale erkennen, frühzeitig um Hilfe bitten – das kann man in guten Momenten gemeinsam trainieren.Ressourcen bewahren und klug haushalten
Nicht jede Situation muss durchgestanden werden. Plane Pufferzeiten ein. Reduziere Reizüberflutung. Passe den Alltag an die Kapazitäten deines Kindes, nicht an Normvorstellungen.Maskieren thematisieren – kindgerecht
Wenn dein Kind reflektieren kann: Sprich darüber, dass es okay ist, nicht immer mitzumachen. Dass Anpassung zwar manchmal nötig, aber nicht verpflichtend ist.Austausch mit Fachpersonen suchen
Schulbegleitung, Therapeut:innen oder Lehrer:innen können wichtige Verbündete sein – wenn sie die Problematik kennen. Dokumentation von Verhalten zuhause kann helfen, den Bedarf sichtbar zu machen.Sich als Eltern abgrenzen und stärken
Du machst nichts falsch. Auch wenn das Umfeld das Verhalten deines Kindes nicht sieht: Deine Realität zählt. Hole dir Hilfe, auch wenn du das Gefühl hast, „es müsste doch gehen“. Du darfst Nein sagen – auch zu gesellschaftlichen Erwartungen.